Beiträge in: Historie

Eine Befragung von Zeitzeugen zu den Anfängen der Angehörigenbewegung

Sabine Hummitzsch (2002)

Diplomarbeit im Studiengang Sozialwesen an der Fachhochschule Wiesbaden

Im Prolog stellt und beantwortet die Autorin die Frage: Warum dieses Diplomthema?

Dinge geschehen nicht zufällig. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag, trifft es nicht zu. Erdbeben bereiten sich vor; die Tiere merken es schon vor den Menschen. Unwetter brauen sich zusammen; ein Kind, das geboren wird, hat sein Leben schon vorher begonnen. Staaten entstehen, Regierungen wechseln, Wirtschaftszyklen nehmen ihren Lauf.

Vieles, was auf den ersten Blick zusammenhanglos erscheint, fügt sich beim genaueren Hinsehen zusammen. Aus vielen einzelnen Teilen kann ein Ganzes entstehen, aus Atomen ein Molekül, aus einzelnen Menschen eine Partei.

Und – so sagt man – ist das Ganze oft mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Das hat mich bewegt in den vergangenen Jahren meines Studiums und bei der Suche nach meinem Diplomthema: Wo finde ich dieses spannende Phänomen? Wo ist das Ganze mehr als die Summe seiner Einzelteile? Wo treffen sich die objektiv messbaren Fakten mit der Subjektivität der beteiligten Menschen? Wo entsteht etwas, das Einzelne anstießen, ohne es vielleicht zu bemerken? Dinge kommen ins Rollen, und die betroffenen Menschen bewegen sich unmerklich mit. Sie werden getrieben, gestalten aber auch gleichzeitig.

Später werde ich als Sozialpädagogin meinen beruflichen Weg gehen. Wo treffe ich Menschen, die Betroffene, Leidende, Handelnde und Gestaltende gleichermaßen in Personalunion sind? Die aus einer inneren Notwendigkeit aus ihrer Privatheit heraustreten und handeln?

Das hat mich beschäftigt und zu meinem Diplomthema geführt. Und es hat mich interessiert, vor welchem Hintergrund dies geschehen konnte. Denn eine Bewegung – gleich ob politisch, außerparlamentarisch, in der Kunst, sei dies Malerei oder Literatur – kann nur entstehen, wenn die Zeit dafür reif, der Boden vorbereitet ist. Ansonsten droht sie im Keim zu ersticken; einzelne Ansätze bleiben isoliert.

Herausgegeben von Matthias C. Angermeyer und Asmus Finzen (1984)

Das Buch erschien im Ferdinand Enke Verlag Stuttgart und ist nicht mehr verfügbar. Der Text wurde uns freundlicherweise vom Verlag zur Veröffentlichung überlassen.

Vorwort

Die Rückbesinnung auf die Selbsthilfe scheint zur sozialpolitischen Entdeckung dieses Jahrzehnts zu werden. Die Entdeckung der Angehörigen ist anscheinend von ähnlicher Bedeutung für die Psychiatrie der 80er Jahre. Angehörigenselbsthilfe und Angehörigengruppen vermitteln heute schon merkbare neue Impulse für eine wirksamere Behandlung vor allem der Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. Sie tragen dazu bei, das Leiden der Betroffenen – der Patienten und ihrer Familien – zu mildern und helfen ihnen, in erträglicher Weise mit den Auswirkungen der Krankheit zu leben. Zugleich leisten sie einen Beitrag, die Familie vom Stigma der persönlichen Schuld an der Krankheit zu befreien.

Wir haben den Versuch unternommen, den gegenwärtigen Stand der Selbsthilfe-Initiativen von Angehörigen psychisch Kranker sowie der Gruppenarbeit mit Angehörigen im deutschsprachigen und im internationalen Raum umfassend darzustellen. Wir wurden dazu durch eine Tagung der Akademie für Sozialmedizin Hannover e. V. angeregt, die im Juni 1982 unter Leitung von Matthias C Angermeyer stattfand. Ein Teil der hier abgedruckten Beiträge wurde damals vorgetragen. Die übrigen Arbeiten wurden – mit einer Ausnahme – für diesen Band geschrieben.

Wir als Herausgeber hoffen, dass es uns mit diesem Sammelband gelingt, Familien mit psychisch kranken Angehörigen auf dem Weg zur Selbsthilfe zu unterstützen und zu fördern und die Gruppenarbeit mit Angehörigen psychisch Kranker zu einem Alltagsereignis psychiatrischer Behandlung zu machen.

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